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Literatur und Interpretation

Dov Desperes

Das Ordnen der Welt
Drei Midraschim

1998, geb., 249 S., 24,00 € [D], ISBN 978-3-930978-11-3

 

Midraschim heißen die bibelexegetischen Bestandteile der jüdischen Tradition.
Oft haben sie erzählenden Charakter. Hier, wie in anderen Gattungen jüdischen
Schrifttums auch, hat die Haltung der Ehrfurcht eine seltene Freiheit produziert,
die alles, was wert ist unter Menschen besprochen zu werden, im Rahmen von
Schriftauslegung Platz finden läßt. Ein kanonischer Text, der sich so wenig vom
Fleck bewegt wie eine störrische Eselin – und so viele Deutungen, daß ein langes
Leben nicht ausreicht, sie alle auch nur kennenzulernen: das ist das Prinzip des
Midrasch.

In seinem Geist hat Dov Desperes die Schöpfungsgeschichte, die Bileamgeschichte
und die Esthergeschichte neu erzählt und aus diesen Geschichten einen kleinen
ironischen Kosmos gebaut, der den Leser von außen nach innen, vom ersten
Menschenpaar ins Judentum, und vom Anfang der Welt bis heute führt. Wie im
Midrasch die Weisen den biblischen Text so lange beknien, bis er mit zugleich alter
und neuer Stimme spricht, hat Desperes seine Geschichten um und um gewendet,
damit ihr Anliegen von heute die Tradition nicht verrät. »Vielleicht kann man sich
in diesem Buch, wie im Garten Eden, auch in Muße ergehen und alles nach seiner
Schönheit und der Art und Weise seines Zusammenstimmens betrachten,« sagt
der Autor. »Eigentlich aber ist es ein Selbstversuch in narrativer Theologie. Ich
wollte die Bedeutungen der Bibel in meine und die meinen in die der Bibel verwandeln;
ich wollte wissen, wo meine Wahrheit in der Tradition sich verborgen hält.«